Wo sie hinkommen, jubeln ihnen die Massen zu. Jeder will ihnen nahe
kommen, einen Blick erhaschen, sie gar berühren, abklaschen, die
Hände schütteln oder ein Erinnerungsfoto zu schießen. Diese
Erfahrungen sind neu und einzigartig für Silvia Böhling und Mike
Blatt. Bei den „Wold Games” in Kaohsiung in Taiwan werden die
Ju-Jutsu-Kämpfer aus der Adam-Riese-Stadt behandelt wie große
Stars. Dem Obermain-Tagblatt berichten sie exklusiv von ihren
Erlebnissen.
Lange hatten die beiden 32-Jährigen auf diese Tage hin gearbeitet.
Es war der große Traum des Ju-Jutsu-Duos aus Bad Staffelstein,
sich für die „Olympischen Spiele der nicht olympischen
Sportarten” zu qualifizieren. „Es war nicht leicht. Die Luft
ist sehr dünn an der Weltspitze”, verrät Mike Blatt. Durch überragende
Leistungen bei den Paris Open und den German Open machten sie sich
für den Bundestrainer unverzichtbar. Außerdem absolvierten sie
zahlreiche Vorbereitungslehrgänge. „Da wurden wir richtig
geknechtet”, fügt der 32-Jährige an. Doch es lohnte sich.
Eines Tages kam die ersehnte Nachricht. „Den Anruf des
Bundestrainers Bernd Breuer mit unserer Nominierung für die
,World Games' haben wir immer noch auf dem Anrufbeantworter”,
sagt Silvia Böhling.
Kompromisslos
vorbereitet
Elf Stunden pro Woche knallhartes Training waren an der
Tagesordnung. Abwechselnd in Bad Staffelstein beim dortigen TSV
und in Rodach, beim Heimatverein von Mike. „Das war das Maximum.
Mehr ging nicht. Wir haben ja beide normale Jobs”, erläutern
sie. Ihr Heimtrainer Vinzenz Oschmann aus Kulmbach, seines
Zeichens auch Landestrainer, war immer mit vor Ort und arbeitete
mit den beiden hart am Feinschliff. „Es sind stets die
Kleinigkeiten, die entscheiden”, erläutert Silvia Böhling. Die
Ju-Jutsu-Kämpfer des TSV Staffelstein waren sehr ehrgeizig.
„Vinzenz hat es verstanden, alles aus uns herauszuholen. Der
gibt einfach nie auf.”
Einige Tage vor Beginn der Ju-Jutsu-Wettkämpfe in Kaohsiung traf
sich der der Bundeskader in Frankfurt/Main zur gemeinsamen Reise
zu den „World Games” in die Hafenstadt Kaohsiung. 14 Stunden
dauerte der Flug aus Deutschland nach Taiwan „Es war das erste
Mal, dass wir so lange geflogen sind”, sagt Mike Blatt. Er und
seine Partnerin wussten nicht, was sie erwarten würde: „Wir
waren zuvor noch nie in Asien gewesen.” Geschweige denn hatten
sie jeweils von einem Ort namens Kaohsiung gehört.
Tagsüber
drückend heiß
In der Hafenstadt Kaohsiung war es heiß. Drückend heiß. „35
bis 36 Grad hatte es da tagsüber”, berichtet Silvia Böhling.
„Hinzu kam die Luftfeuchtigkeit von rund 90 Prozent. Das war
mitten in der Zeit des Monsunregens.”
Von Anfang an wurden die deutschen Athleten von den taiwanesischen
Gastgebern nach allen Regeln der Kunst umsorgt, Die zahlreichen
Volontäre standen zu jeder Stunde für sie bereit. „Die Leute
in Taiwan sind überaus freundlich und zuvorkommend”, finden die
beiden. „Außerdem war alles perfekt durchorganisiert.” Bei
den „World Games” durften jeweils nur die sechs besten
Nationen der jeweiligen Sportart und Klasse teilnehmen. Die
Qualifikation läuft über die Welt- und den
Europameisterschaften. Dort müssen die Aspiranten die ersten Ränge
belegen, um sich für die World Games zu qualifizieren.
Dementsprechend waren in Taiwan nur die Besten der Besten.
Insgesamt waren es 4800 Athleten aus 105 Nationen. Das entfachte in
Taiwan eine Welle der Euphorie: Das ganze Land feierte frenetisch
dieses tolle Ereignis. „Die Stimmung glich der einer Fußball-Weltmeisterschaft”,
bringt es Mike Blatt auf den Punkt. „Es war einfach gigantisch.
Das lässt sich kaum in Worte fassen.”
Im Mittelpunkt der „World Games” standen natürlich die Wettkämpfe.
„Im Ju-Jutsu gibt es kein höheres Turnier”, so Silvia Böhling.
Alleine schon mit der Qualifikation für die „Olympischen Spiele
der nichtolympischen Sportarten” hatten sie sich den Respekt der
anderen Nationen, allen voran Frankreich, erarbeitet.
Silvia Böhling und Mike Blatt wurden letztendlich Fünfter:
Frankreich, die Schweiz, Belgien und die Niederlande landeten vor
ihnen. Ein höchst respektables Ergebnis. „Wir Teams haben uns
gut untereinander verstanden”, resümieren sie. Außer natürlich
an den Wettkampftagen. Da ging es mächtig zur Sache.
Silvia und Mike nutzen ihre Freizeit dafür, das Land besser kennen
zu lernen. Überall begegneten ihnen chinesische Drachen. Die
Zeichen des Glücks. Sogar das Stadion war in Form eines Drachens
erbaut. Die beiden sogen die asiatische Kultur geradezu in sich
auf. Sie waren begeistert. Besuche in verschiedenen buddhistischen
Tempeln und bei anderen traditionellen Bauten durften da natürlich
nicht fehlen. Taiwan beeindruckte die Oberfranken tief.
Asiatische
Küche getestet
Während der Wettkampftage war es den beiden Athleten vom Obermain
verboten, die asiatische Küche zu kosten. „Dafür haben wir uns
danach gründlich umgeschaut”, schmunzeln die beiden. Nicht
alles, was sie auf dem Markt oder in Restaurants entdeckten,
wollten sie auch probieren. „Die asiatische Küche ist für uns
Europäer schon etwas gewöhnungsbedürftig”, beschreiben sie.
„Und natürlich ganz anders als beim Asiaten um die Ecke.”
Zehn Tage dauerten die „World Games” in der taiwanesischen
Hafenstadt Kaohsiung. „Bei der Eröffnungsshow waren wir leider
noch nicht im Land. Dafür waren wir aber bei der großen
Schlusszeremonie mit dabei”, erläutern die 32-Jährigen. Sie
gerät ins Schwärmen. Viele Erinnerungen werden lebendig. Die
Schlussfeier war ein Spektakel. „Dafür haben sich alle Athleten
auf dem World Games Plaza getroffen. Ein tolles Bild: Dann folgte
eine Parade von rund einem Kilometer entlang frenetisch feiernder
Massen. Links und rechts standen zig-tausende Leute und jubelten.
Wir haben gleich mehrfach eine Gänsehaut bekommen”, fügen sie
an.
Letztendlich endete der Zug im 60\x0f000 Zuschauer fassenden,
eigens für die „World Games” erbautem Stadion. Laola-Wellen
mit Leuchtstäben wogten über die Ränge, Feuerballons mit besten
Wünschen stiegen in den Nachthimmel.
Hinzu kamen grandiose Lichtershows, Livebands und ein
atemberaubendes Feuerwerk. Wie an jedem Abend während der
„World Games”. „Diese Tage in Taiwan werden uns wohl ewig im
Gedächtnis bleiben. Das war ein gigantisches Erlebnis”,
bilanzieren die beiden.
Taiwan
Taiwan ist eine Insel vor dem chinesischen Festland im
West-Pazifik. Die Hauptstadt ist Taipeh. Der Status der Insel ist
politisch umstritten. Die Volksrepublik China sieht die Insel als
abtrünnige Provinz an. Der rechtliche Status Taiwans ist bis
heute ungeklärt. Gerade deshalb ist eine internationale
Sportveranstaltung wie die „World Games” für die Menschen
Taiwans besonders wichtig.
Dankeschön
der Kanzlerin
Mittlerweile
haben wir Athleten einen Dankesbrief von Bundeskanzlerin Angela
Merkel und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble erhalten“,
verraten Silvia Böhling und Mike Blatt. Darüber haben sie sich
sehr gefreut.
Nach
den anstrengenden „World Games“ hat ihnen Heimtrainer Vinzenz
Oschmann erst einmal eine Trainingspause zur Regeneration
verordnet. „Aktuell betreiben wir Videoanalyse unserer Kämpfe“,
schildern sie. Bald werden sie wieder ins intensive
Ju-Jutsu-Training einsteigen. Die nächsten Wettkämpfe werden
nicht lange auf sich warten lassen. „Unser Ziel: Die Teilnahme
an den Weltmeisterschaften 2010 in Sankt Petersburg. Wir hoffen,
dass wir es schaffen.“ Ein großer Traum der beiden wäre es
auch, 2013 noch einmal bei den „World Games“ dabei zu sein.
Dann in Cali in Kolumbien.
World
Games
Die
World Games sind ein internationaler Wettkampf in Sportarten, die
nicht zum Wettkampf-Programm der Olympischen Spiele gehören,
jedoch eine hohe weltweite Verbreitung haben. Sie werden alle vier
Jahre an wechselnden Orten ausgetragen, jeweils im Jahr nach dne
Olympischen Sommerpsilene. Ausrichter ist der Internationale
Verband für Weltspiele (IWGA). Das Internationale Olympische
Komitee fungiert als Schirmherr.
Markus
Drossel OT Lichtenfels
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